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„Offensichtlich ist Putin bereit, sein Land zu opfern“ – Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

22.01.2025 - Interview

Frage:

Donald Trump ist zurück im Weißen Haus. Verbinden Sie damit auch die Hoffnung, dass seine Ankündigung wahr wird und der Krieg in der Ukraine ein Ende findet, Frau Ministerin?

Annalena Baerbock:

Dass Frieden nach Europa zurückkehrt, ist im absoluten transatlantischen Interesse. Dass das offensichtlich doch komplexer ist und nicht innerhalb von 24 Stunden per Deal gelingt, hat die neue amerikanische Regierung nun deutlich gemacht. Für einen dauerhaften Frieden ist Realitätssinn wichtig.

Frage:

Keine Hoffnung auf schnellen Frieden?

Annalena Baerbock:

Natürlich, das Beste wäre, dass nach diesen furchtbaren drei Jahren der Krieg morgen zu Ende ist. Das hat allein der russische Präsident Putin in der Hand. Rein rational wäre jetzt der Moment, dass Putin endlich erkennt: Er kann den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen. Die Zeichen sind eindeutig: Mit dem Ende Assads in Syrien haben die Russen eine schwere geopolitische Niederlage erlitten. Putins engster Partner, Iran, ist in der Defensive. Aber leider haben die letzten drei Jahre auch gezeigt, dass Putins Russland nicht mehr den normalen Logiken folgt, sondern ideologisch getrieben voll auf Zerstörung setzt.

Frage:

Was den Waffenstillstand im Nahen Osten angeht, so nimmt Trump für sich in Anspruch, dass er das mit einem Machtwort aus Amerika erreicht hat. Und damit mehr, als viele Politiker mit ihren Reisen. Sie waren auch oft in der Region. Hat er recht?

Annalena Baerbock:

Mancher klopft sich ja am liebsten selbst auf die Schulter. Das ist nicht meine Art, Politik zu machen. Dieser Waffenstillstand ist einer, an dem wir, arabische Partner und Washington Monate gearbeitet haben. Tatsächlich kam es zum Durchbruch, weil die neue amerikanische Regierung den Plan des bisherigen Präsidenten Biden dann zum Glück doch noch unterstützt hat.

Frage:

Der deutsche Botschafter in Washington, Andreas Michaelis, hat intern vor Racheplänen Donald Trumps gewarnt. Können die auch uns treffen?

Annalena Baerbock:

Gerade in diesen turbulenten Zeiten ist es wichtig, dass wir eng mit unseren amerikanischen Partnern zusammenarbeiten. Die USA sind nicht nur unser engster Verbündeter in der NATO, sondern auch wirtschaftlich macht es für beide Seiten sehr viel Sinn. Denken wir daran, welchen Einfluss China auf die Weltwirtschaft nehmen will. Wir Europäer dürfen zugleich nicht naiv sein. Daher war es mir so wichtig endlich eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland zu schaffen, die Europas Einheit stärkt und uns zwischen China und den USA nicht zerreibt. Wir als EU sind der größte Binnenmarkt der Welt. Diese Stärke sollten wir nutzen: Strategisch, partnerschaftlich und selbstbewusst. Gerade jetzt.

Frage:

Wenn wir also weiter mit Washington gut zusammenarbeiten wollen, ist es dann hilfreich, dass Deutschlands Botschafter, wenn auch intern, gleich zu Beginn der zweiten Amtszeit Trumps so ein Bedrohungsszenario aufzeigt?

Annalena Baerbock:

Aufgabe eines Botschafters ist es, nicht nur das Auswärtige Amt sondern die gesamte Bundesregierung über Entwicklungen in seinem Gastland zu unterrichten. Das ist Standard und vertraulich. Daher ist es alles andere als hilfreich, dass jemand jetzt diese Vertraulichkeit gebrochen hat.

Frage:

Für große Aufregung hat in Berlin Trumps Anspruch auf Grönland und den Panamakanal gesorgt. Bundeskanzler Scholz hat öffentlich Kritik geübt. Wie ordnen Sie die Forderungen Trumps ein?

Annalena Baerbock:

Wir dürfen uns als Europäer nicht kirre machen lassen und über jedes Stöckchen springen. Und deutlich machen, wo wir stehen. Es geht nicht darum, wie Präsident Trump etwas sagt, sondern warum er es sagt, welche Interessen dahinterstehen.

Frage:

Also verstehen Sie das strategische Interesse am Panamakanal, das Trump hat?

Annalena Baerbock:

Für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand ist die Sicherung von freien Handelswegen zentral. China kauft sich in Häfen auf der ganzen Welt ein – auch bei uns. Daher ist es so wichtig, dass Nationalstaaten ihre eigene Infrastruktur unter Kontrolle haben. Trotzdem bzw. genau deswegen drohen wir unseren Nachbarn aber nicht mit Invasion.

Frage:

Die amerikanische Außenpolitik war immer deutlich mehr als unsere interessengeleitet. Das wird unter Trump zunehmen. Hat Ihre wertegeleitete, auch feministische Außenpolitik da noch Platz oder ist das ein naiver Ansatz zwischen Trumps Amerika und Xi Jinpings China?

Annalena Baerbock:

Werte und Interessen sind kein Gegensatz. Ganz im Gegenteil. Die Kraft zur Gleichzeitigkeit ist Realpolitik. Wir leben in einer Welt, in der Demokratien von Autokratien und Diktaturen herausgefordert sind. Gerade jetzt selbstbewusst einzutreten für unsere demokratischen Grundwerte, die natürlich nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder umfassen, für unsere freie Marktwirtschaft, für die territoriale Integrität eines jeden Staates, die Welthandelsordnung, das ist doch in unserem ureigenstes Interesse. Also harte Sicherheitspolitik. Frauenrechte sind dabei ein Gradmesser für den Freiheitsgrad einer Gesellschaft. Wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht beteiligt ist, nicht sicher ist, dann ist niemand sicher in einem Land. Und es ist auch ökonomisch fatal. Daher haben meine Außenministerkollegen der Golf-Staaten und ich das auch den neuen Machthabern Syriens so deutlich gemacht.

Frage:

Ein kleiner Schlenker: Gehört zur feministischen Außenpolitik, dass sie Hintergrundrunden haben, an denen nur Journalistinnen teilnehmen dürfen? Was heißt das für die Geschlechtergerechtigkeit?

Annalena Baerbock:

Ich bin da ganz konservativ. Mit guten Traditionen sollte man nicht brechen.

Frage:

Was würden Sie sagen, wenn Friedrich Merz nur Männerrunden veranstalten würde?

Annalena Baerbock:

Viel Spaß!

Frage:

Wollen Sie über Feminismus auch mit Donald Trump sprechen? Der hat sich bislang nicht als Vorkämpfer für Frauenrechte gezeigt.

Annalena Baerbock:

Um zu wissen, dass manche mit dem Wort Feminismus nichts anfangen können, brauchte es keinen neuen US-Präsidenten, das lese ich ja hin und wieder auch in Ihrer Zeitung. Aber wer sich schnell triggern lässt, sollte in der heutigen Weltlage keine Außen- und Sicherheitspolitik machen. Gerade in diesen harten Zeiten gilt es die gesamte Klaviatur der Diplomatie spielen zu können – zu wissen, wann und bei wem es leise oder laute Töne braucht. Das, was manche als Soft-power degradieren, zeigte sich gerade auch bei meinem weltweiten Werben zur Unterstützung unserer europäischen Friedenssicherung als Hard power, denn für uns wichtige BRICS-Staaten wie Südafrika oder Brasilien stehen beim Krieg Russlands nicht automatisch auf unserer Seite. Deswegen ist ein integrierter Sicherheitsansatz so essentiell. Der im Lichte des russischen Angriffskrieges in der Lage ist Frauenrechte, Klimaaußenpolitik zusammenzudenken mit höheren Militärausgaben - gerade auch für die Ukraine.

Frage:

Trotz der vielen Hilfen, vor allem aus Amerika, ist es aber noch nicht gelungen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden. Muss Putin erst Angst haben, dass seine Herrschaft zerstört wird, damit er aufhört?

Annalena Baerbock:

Offensichtlich ist Putin bereit, sein eigenes Land zu opfern. Mehr als 1.500 russische Männer, manche noch halbe Teenager, werden jeden Tag schwer verwundet oder sterben an der Front in der Ukraine. Nach fast drei Jahren Krieg sind das viele Hunderttausend zerstörte Leben. Da hilft leider kein freundliches Gut-zu-reden. Es hilft nur eine klare Sicherheitspolitik, die ihn davon abschreckt, in Europa nicht noch weiterzugehen.

Frage:

Also muss Putin erst Angst bekommen? Und kann Trump diese Angst entfachen?

Annalena Baerbock:

Je mehr Druck es gibt und je mehr Sorge der russische Präsident haben muss, dass seine Interessen bedroht sind, desto wirksamer. Daher mein intensives diplomatisches Werben auf der ganzen Welt für humanitäre, militärische und politische Unterstützung der Ukraine. Und ebenso können wir nicht darüber hinweggehen, wenn China davorsteht, Putins Krieg gegen die europäische Friedensordnung direkt zu unterstützen. Hier hilft Klartext gegenüber Peking. Denn eigentlich will Xi ja gerade bei vielen Ländern Afrikas als vertrauensvoller Friedensengel dastehen. Was das gefährdet, lässt er eher.

Frage:

Welche Sicherheitsgarantien können wir der Ukraine unterhalb der NATO-Mitgliedschaft geben?

Annalena Baerbock:

Wir sehen, dass sowohl unsere EU- als auch unsere NATO-Mitgliedschaft unser aller Lebensversicherung ist. Daher war für mich eine der wichtigsten Aufgaben in den letzten drei Jahren die EU-Erweiterungsprozesse nicht nur für die Ukraine und Moldau, sondern auch für den westlichen Balkan voranzubringen. Und beim Nato-Gipfel in Washington haben wir deutlich gemacht, dass die Zukunft der Ukraine auch in der NATO liegt, wie das für etliche Westbalkan-Staaten ja bereits nach der eigenen Kriegserfahrung der Fall ist. Zudem müssen wir Europäer in Gänze so stark sein, dass wir unseren Frieden selbst sichern. Wir können nach dem russischen Angriff auf unseren Nachbarn nicht wie früher in einer rosaroten Welt leben und denken, das werden die Amerikaner schon irgendwie für uns regeln. Das bedeutet dann auch, wenn es zu Friedensgesprächen kommt, dass wir in Europa selbst für unsere Sicherheit einstehen.

Frage:

Also bedeutet das auch, dass Deutschland Soldaten schicken sollte zur Sicherung eines Waffenstillstands?

Annalena Baerbock:

Für einen dauerhaften, gerechten Frieden braucht es mehr als Scheinlösungen. Daher denke ich mit zentralen europäischen Partnern und der Ukraine die unterschiedlichen Elemente einer stabilen Friedenssicherung vor. Dazu waren meine Kollegen vor Weihnachten bei mir in Berlin, ich in Warschau und Paris. Dabei kann auch eine Friedenssicherungsmission ein Element sein, wofür es natürlich uns Europäer, aber auch andere bräuchte. Denn wir wissen, dass Friedensmissionen umso stabiler sind, je mehr internationales Engagement es gibt. In diesem Fall auch aus Ländern außerhalb Europas,, bei denen Putin an guten Beziehungen gelegen ist. In diesem Sinne ist wiederum auch unser eigenes Engagement auf anderen Kontinenten, sei es entwicklungs- oder sicherheitspolitisch, so wichtig.

Frage:

Fällt Bundeskanzler Olaf Scholz aus Ihrer Sicht in alte SPD-Verhaltensweisen zurück, wenn er die von Ihnen und Verteidigungsminister Boris Pistorius beworbene Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine um drei Milliarden Euro als überplanmäßige Ausgabe bislang ablehnt?

Annalena Baerbock:

Ich mische mich nicht in innerparteiliche Fragen der SPD ein. Mir geht’s um Deutschland, um den Frieden in unserem Europa. Es war dramatisch, zu erleben, wie viel zerschlagenes Vertrauen ich in meinen ersten Amtsmonaten bei unseren Nachbarn wieder aufbauen musste, dass die Große Koalition mit ihrer naiven Russlandpolitik und ignoranten Beschwichtigungen gegenüber den Osteuropäern verspielt hatte. Mit unserer Zeitenwende und der klaren Ukraine-Politik haben wir in den letzten drei Jahren deutlich gemacht: Europa kann sich auf Deutschland verlassen. Dieses Vertrauen Europas in Deutschland zu erhalten, darum geht es doch jetzt.

Frage:

Die Debatte um die drei Milliarden sorgt doch genau dafür, dieses Misstrauen wieder zu wecken bei unseren osteuropäischen Partnern?

Annalena Baerbock:

Deswegen werbe ich so eindringlich dafür, Wort zu halten und für Europas Frieden einzustehen. Die Ukraine-Hilfe ist unser bester Eigenschutz. Und zentral auch mit Blick auf drohende, weitere Fluchtbewegungen Richtung Deutschland.

[...]

Frage:

Wir müssen nicht nur die Ukraine unterstützen, sondern auch unsere Verteidigungsfähigkeit hochfahren. Trump fordert fünf Prozent für Verteidigungsausgaben, Ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck sagt 3,5 %. Was sagen Sie?

Annalena Baerbock:

Je mehr wir in unsere Sicherheit investieren desto besser. Derzeit stehen wir allerdings erst bei gut 2 %. Deswegen ist mir die Debatte allein fixiert auf konjunkturabhängige Prozentzahlen und nur national gedacht zu unterkomplex. Es geht um die Frage: Haben wir als Europäer genug Luftverteidigung? Haben wir die modernsten Systeme, vor allem die modernsten Drohnen? Und ist das jetzt endlich alles miteinander interoperabel. Es geht jetzt darum, dass wir gemeinsam beschaffen, gemeinsam produzieren und unsere Systeme voll integrieren, um so eine echte europäische Verteidigungsunion zu schaffen.

Frage:

Allerdings scheint nicht nur die schlichte Nennung von Prozentzahlen unterkomplex, auch die schwammigen Formulierungen zur Finanzierung im Wahlkampf sind es. Wo also kommt das Geld her?

Annalena Baerbock:

Ich habe schon vor einem Jahr auf der letzten Münchener Sicherheitskonferenz deutlich gemacht, dass es ein neues und diesmal umfassendes Sondervermögen bräuchte oder Maßnahmen innerhalb der ohnehin zu modernisierenden Schuldenbremse. Sie ist mit Blick auf die überfällige Infrastrukturerneuerung und die notwendigen Maßnahmen zum Erhalt unseres Friedens nach dem russischen Angriffskrieg wirklich aus der Zeit gefallen. Zugleich gilt seit dem 24. Februar 2022: Auch die Finanzierung unserer Friedenssicherung müssen wir endlich europäisch denken. Ich werbe für einen europäischen Finanz-Pakt zur Friedenssicherung.

Frage:

Wie groß muss der sein?

Annalena Baerbock:

Europa war in der Lage in der Eurokrise und der Corona-Pandemie gemeinsam Hunderte Milliarden zu stemmen. Das sollte uns auch der Frieden Europas wert sein.

[...]

Interview: Eckart Lohse und Matthias Wyssuwa

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