Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenminister Wadephul beim Deutsch-Polnischen Forum
Keine fünf Autostunden von hier liegt die polnische Stadt Nakło nad Notecią, oder auf Deutsch: Nakel.
Für mich ist das ein besonderer Ort, denn dort wurde im Jahr 1910 meine Großmutter geboren.
Als wir beide, lieber Radek Sikorski, vor Kurzem in Warschau das Fußballspiel von Legia Warszawa gegen Chelsea London gesehen haben, da habe ich dir davon erzählt.
Du hast sofort dein Smartphone herausgeholt und mir ein Foto von deinem Haus gezeigt. Und gesagt: Guck mal, da hinter dem Dach, da liegt Nakel.
Du wohnst wenige Kilometer entfernt von dem Ort, in dem meine Großmutter gewohnt hat.
Was für ein unglaublicher Zufall. – Übrigens auch, dass wir beide im Februar 1963 geboren wurden – einer ist 13 Tage älter als der andere.
Aber diese Anekdote steht sinnbildlich für die Beziehung unserer beiden Länder: Sie zeigt, wie nah wir uns sind.
Wie verwoben nicht nur unsere Wurzeln sind, sondern wie eng beieinander heute unsere Gegenwart liegt.
Und – das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen: Wir teilen auch eine Verantwortung für unsere Zukunft in Europa.
Ich möchte gar nicht all die Statistiken aufzählen: Die Städtepartnerschaften, die deutsch-polnischen Unternehmen, die vielen tausenden Polinnen und Polen, die bei uns in Deutschland leben und arbeiten und umgekehrt, die Jugendaustausche, die deutsch-polnischen und die polnisch-deutschen Familien.
Das alles macht diese Partnerschaft zwischen unseren Ländern aus.
Sie ist für mich schon aus biografischen Gründen eine Herzensangelegenheit.
Und als Außenminister kann ich sagen:
Die deutsch-polnische Partnerschaft gehört zu den wichtigsten Prioritäten meiner Arbeit.
Wenn ich sage, dass unsere Geschichte eng verwoben ist, dann tue ich das im vollen Bewusstsein, dass sie auch dunkelste Kapitel kennt.
Wenn man von Nakel die Straße Richtung Bydgoszcz fährt, entlang der Netze, dann kommt man in den Ort Potulice.
In diesem Ort betrieb Nazi-Deutschland nach dem Überfall auf Polen ein Konzentrationslager, in dem 25.000 Menschen eingesperrt waren.
Die Straße, die am Konzentrationslager vorbeiführt, wurde gepflastert von Kindern aus dem Lager, in Zwangsarbeit.
Über 1000 Menschen sind durch die Hände der Nationalsozialisten in diesem Lager gestorben.
Allein 581 Kinder unter fünf Jahren.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Versöhnung zwischen unseren Ländern bezeichnen wir in Deutschland häufig als „Geschenk“.
Das ist zum einen richtig: Wir Deutsche konnten die Vergebung durch die Polinnen und Polen nicht erwarten oder gar verlangen. Gerade deshalb sind wir unendlich dankbar dafür.
Dennoch trifft der Begriff des „Geschenks“ es eigentlich nicht ganz. Denn ein Geschenk, das wird einmal überreicht und wandert dann in den Besitz des Beschenkten über.
Das stellt man sich vielleicht in den Schrank und freut sich darüber. Das hat etwas Abgeschlossenes, etwas Endgültiges.
Aber der Prozess der Versöhnung ist nie abgeschlossen.
Ich weiß, dass bei manchen Menschen in Polen der Eindruck besteht, dass in Deutschland immer noch zu wenig über die Taten von Nazi-Deutschland in Polen bekannt ist. Das schmerzt mich.
Deswegen sage ich ganz klar:
Deutschland darf und wird die Millionen Opfer der deutschen Besatzung Polens niemals vergessen.
Deshalb unterstütze ich auch mit Nachdruck die Errichtung eines dauerhaften Denkmals zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Aggression und Besatzung.
Und auch mit der Errichtung des Deutsch-Polnisches Hauses in der Mitte Berlins sollten wir schnell vorankommen.
Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei Dietmar Nietan bedanken.
Lieber Dietmar, wir kennen uns viele Jahre, und ich kenne deinen unermüdlichen Einsatz für diese und viele andere Projekte. Vielen Dank für dein Engagement für unseren Aussöhnungsprozess.
Es freut mich sehr, dass der Staffelstab heute an Knut Abraham übergeben werden kann, den neuen Koordinator für die Deutsch-Polnische Zusammenarbeit.
Lieber Knut, du hast schon in den 1980er Jahren die Solidarność Bewegung unterstützt, hast als Freiwilliger per LKW medizinische Produkte und Hilfspakete nach Polen gefahren.
Ich kenne dich seit vielen Jahren aus unserer parlamentarischen Zusammenarbeit, habe
großes Vertrauen und weiß, dass auch dein Herz Polen gehört. Deswegen bist du ein würdiger Nachfolger. Herzlich Willkommen,
Die praktische und konkrete Arbeit an den deutsch-polnischen Beziehungen möchte ich noch mehr ins Zentrum unseres Tuns rücken.
Denn der Prozess der Versöhnung lebt auch von den Menschen auf beiden Seiten der Grenze, die einander immer wieder die Hand reichen, die miteinander reden, lachen und sich auch mal übereinander ärgern.
Denn auch das gehört zu Freundschaften dazu.
Ich möchte hinzufügen: Die menschlichen Verbindungen zwischen unseren Ländern halten auch politische Meinungsverschiedenheiten aus.
Aber solche Meinungsverschiedenheiten sollten uns niemals daran hindern, gemeinsam anzupacken und unsere Zukunft zu gestalten.
Es ist so einfach wie anspruchsvoll: Es geht um das Interesse der Menschen aneinander.
Das ist auch der Kern der Arbeit der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit – und die Arbeit von Ihnen allen:
Die Lehrerin aus Danzig, die mit ihren Schülerinnen und Schülern eine Studienreise nach Nürnberg macht.
Der Künstler aus Frankfurt am Main, der mit dem Künstler-Kollektiv aus Krakau eine Theaterperformance auf die Bühne bringt.
Die Journalistin aus Warschau, die über ukrainische Geflüchtete in München berichtet.
Władysław Bartoszewski hat einmal gesagt, unsere Länder müssten „über die Normalität, die man schon erreicht hat, auch die Freundschaft erreichen.“
Dazu bleiben wir weiter aufgefordert.
Deswegen freue ich mich, dass heute, nach sieben Jahren Pause wieder das deutsch-polnische Forum stattfindet.
Endlich.
So verwoben wie unsere Wurzeln sind, so verwoben ist heute unsere Freundschaft.
Und – lassen Sie mich das so pathetisch sagen:
So untrennbar verbunden ist unser Schicksal.
Wir haben in dieser Zeit, in der unser europäischer Frieden so bedroht ist wie seit dem Ende des Kalten Kriege nicht mehr, eine gemeinsame Verantwortung für Sicherheit, Freiheit und Wohlstand in Europa.
Das ist ganz zentral, dass wir an der Seite der Ukraine stehen – Polen und Deutsche, untergehakt – im Kampf gegen den russischen Aggressionskrieg. Wir stehen wie eine Mauer.
Die zwei Preisträger, die wir heute ehren werden, stehen stellvertretend für das Engagement, mit dem viele Ehrenamtliche und Initiativen unsere Nachbarn in der Ukraine unterstützen.
Diese Solidarität werden wir weiterhin brauchen.
Und sie wird auch die Zusammenarbeit zwischen unseren Regierungen leiten: Wir werden die Unterstützung der Ukraine fortsetzen – so lange wie das nötig ist.
Polen hat früher als viele Menschen in Deutschland verstanden, wie groß die Bedrohung ist, die von Russland ausgeht.
Und was für ein epochales Umdenken das für die Sicherheit auf unserem Kontinent und damit auch die NATO bedeuten muss.
Als neue Bundesregierung ist deswegen Sicherheit die oberste Priorität unserer Politik.
Und lassen Sie mich hinzufügen: Das beinhaltet auch die Sicherheit unserer Partner.
Deshalb patrouillieren polnische und deutsche Piloten gemeinsam den polnischen Luftraum.
Deshalb sichern deutsche Patriot-Einheiten den polnischen Flugplatz in Rzeszów.
Deshalb sind deutsche Schiffe im Rahmen der NATO-Mission „Baltic Sentry“ auch vor Polen im Einsatz in der Ostsee.
Es ist ganz einfach: Polens Sicherheit ist Deutschlands Sicherheit.
Lieber Radek,
über das Haus, das du vor 25 Jahren gekauft und renoviert hast, hast du ein schönes Buch geschrieben: „Das polnische Haus. Die Geschichte meines Landes“.
Du schreibst darin, dass du von deinem Haus aus mit dem Kahn nach Nakel rudern kannst.
In den Geburtsort meiner Großmutter.
Und du beschreibst, wie präsent unsere gemeinsame, wechselhafte Geschichte für dich seit deiner Kindheit ist, und die Verbrechen der Nationalsozialisten.
Heute stehen wir als Außenminister und als Freunde nebeneinander.
Dafür kann man nur dankbar sein.
Ich möchte in diese Dankbarkeit das große Engagement für unsere deutsch-polnische Freundschaft einschließen.
Für die Mühe, die Sie einsetzen.
Das ist alles nicht selbstverständlich.
Vielen Dank für Ihr Engagement. Ich wünsche dieser Veranstaltung einen guten Verlauf und unserer Freundschaft einen langen Bestand.
Wir stehen dafür ein.