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Interview von Außenminister Wadephul mit der Süddeutschen Zeitung

06.06.2025 - Interview

Erschienen am 30.05.2025.

Frage

Herr Minister, kann man heute noch Transatlantiker sein?

Johann Wadephul

Man muss Transatlantiker sein.

Frage

Man muss?

Johann Wadephul

Es liegt im Interesse Europas, aber auch der Vereinigten Staaten von Amerika und übrigens auch Kanadas, dass unser Bündnis fortbesteht. Es hat über Jahrzehnte Frieden und Stabilität garantiert.

Frage

Ist die Garantie nicht abgelaufen mit einem US-Präsidenten, der für Europa so wenig übrig hat?

Johann Wadephul

Präsident Trump denkt intuitiv vielleicht weniger in Institutionen oder Bündnissen. Er handelt nicht so, wie wir das über Jahrzehnte gewohnt waren. Aber er hat, abgesehen von einer Bemerkung ganz am Anfang seiner ersten Amtsperiode, das Bündnis mit keinem Satz und keiner Nebenbemerkung infrage gestellt. Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen zu ihren Verpflichtungen. Wir sollten alle vorsichtig sein und keine selbsterfüllenden Prophezeiungen formulieren. Ich rate dazu, über das zu sprechen, was uns verbindet.

Frage

Das wäre?

Johann Wadephul

Interessen und auch Werte. Die sind beiderseitig.

Frage

Um den demokratischen Rechtsstaat in den USA sorgen Sie sich nicht?

Johann Wadephul

Natürlich gibt es auch Entwicklungen, die wir kritisch sehen. Die gibt es aber auch in dem einen oder anderen europäischen Land. Als Europäer haben wir keinen Anlass dazu, uns so aufführen, als seien wir alle immer nur Musterschüler. Die USA sind die sehr viel ältere Demokratie und auch der sehr viel ältere Rechtsstaat. Gerade wir Deutschen haben jeden Anlass zur Zurückhaltung und zur Bescheidenheit.

Frage

Auch dann, wenn wir den Kampf Trumps gegen Universitäten wie Harvard sehen?

Johann Wadephul

Offen gestanden verstehe ich auch nicht jede seiner Äußerungen und jede seiner Forderungen. Für mich folgt daraus, dass wir wieder viel mehr miteinander sprechen und diskutieren müssen. Und wir müssen uns vor allem ansehen, was das genau bedeutet für deutsche Studierende dort.

Frage

Trump redet mit Europa am liebsten über Geld.

Johann Wadephul

Die USA haben einen Punkt, wenn sie die Übernahme von mehr Verantwortung und auch von mehr finanzieller Last fordern. Das Bündnis lebt nicht nur davon, dass man hervorragende Erklärungen abgibt, sondern auch durch Taten. Man muss einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit leisten. Und der besteht eben zuallererst in Geld, um davon Militärgüter zu beschaffen und Personal zu stellen. In beiden Bereichen besteht bei uns Nachholbedarf. In der Koalition haben wir die klare politische Bereitschaft dazu – und durch die Verfassungsänderung auch die Möglichkeit, Mängel zu beheben.

Frage

Das Ziel lautet, fünf Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung. Ist das in der Koalition mit der SPD durchzusetzen?

Johann Wadephul

Deutschland ist bereit, dieses Ziel zu beschließen. Das ist in der Koalition unstrittig. Nach den Erklärungen des Bundeskanzlers, des Verteidigungsministers und auch von mir ist das klar. Natürlich müssen wir dazu die erforderlichen Beschlüsse im Kabinett und im Parlament noch fassen. Der Koalitionsvertrag sagt aber eindeutig, dass das, was wir auf dem Nato-Gipfel im Juni in Den Haag beschließen werden, auch umgesetzt wird. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass der kluge Vorschlag von Generalsekretär Mark Rutte, nämlich 3,5 Prozent für den Verteidigungsbereich bis 2032 und 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur auszugeben, dort erfolgen wird.

Frage

Was passiert, wenn der Gipfel scheitert?

Johann Wadephul

Das würde zu Unsicherheiten führen, die wir uns nicht leisten können.

Frage

Steht die Nato auf dem Spiel?

Johann Wadephul

Das ist mir zu hypothetisch, und das lenkt von der eigentlichen Aufgabe ab. Ich kann aber aus den Gesprächen mit den Kollegen aus den Nato-Staaten sagen, dass zum Glück alle wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Frage

Es geht um riesige Summen. Sind die auch der Bevölkerung zu vermitteln?

Johann Wadephul

Das ist unsere Aufgabe. Vor dieser Schwierigkeit kann ich mich als Politiker nicht drücken. Russland bedroht uns. Wir wissen, dass Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt hat. Wir wissen um die enorme Aufrüstung Chinas und wir wissen, dass in von Terrorismus schwer heimgesuchten Regionen insbesondere in Afrika der Waffenhandel blüht. Wir sehen, dass Terrorgruppen wie die Huthis einen Seehandelsweg wie den durch den Suezkanal und das Rote Meer praktisch komplett lahmlegen können. Gegen all das müssen wir uns wehren und – noch besser – wappnen.

Frage

Brauchen wir einen Plan B für den Fall, dass die USA sich immer stärker oder ganz aus der Nato zurückziehen? Konkret: Brauchen wir einen europäischen Atomschirm?

Johann Wadephul

Jeder beschaffte Panzer der Bundeswehr, der jetzt für die Nato einzahlt, ist gleichzeitig ein Beitrag zur europäischen Verteidigungsfähigkeit. Ich muss aber klar sagen: Auf absehbare Zeit ist ein Ersatz des US-Nuklearschirms nicht möglich. Was die nuklearen Fragen angeht, haben wir aber eine neue Diskussionskultur. Friedrich Merz hat sich offen für diese von Emmanuel Macron angestoßene Debatte gezeigt. Wir reden also mit Frankreich und Großbritanniengrundsätzlich über diese Fragen.

Frage

Zum russischen Angriffskrieg: Vor einiger Zeit lautete das Ziel noch, die Ukraine müsse gewinnen. Was ist heute das Ziel?

Johann Wadephul

Aus meiner Sicht war von Anfang an klar, dass dieser Krieg höchstwahrscheinlich durch eine Verhandlungslösung beendet werden wird. Denn eines stimmt schon – dass eine komplette Niederlage im Sinne einer Kapitulation des atomar bewaffneten Russlands nicht erwartet werden konnte. Insofern haben wir uns jetzt ein wenig ehrlicher gemacht. Die Ukraine setzt sich zugleich erfolgreich gegen Russlands Aggression zur Wehr. Damit gibt es jede Chance für die Ukraine, aus einer starken Verhandlungsposition auch stark hervorzugehen. Für uns ist wichtig, dass die Ukraine diese Entscheidung trifft und sie nicht über ihre Köpfe hinweg durch andere getroffen wird.

Frage

Glauben Sie nach ihrem Besuch in Washington wirklich, dass Trump sich den Europäern anschließt und mit neuen Sanktionen den Druck auf Putin erhöht?

Johann Wadephul

Das Sanktionspaket von US-Senator Lindsey Graham, das im Senat 80 Unterstützer hat, wird mit seiner Zustimmung geschnürt. Er hat selbst mehrfach Sanktionen angekündigt und jetzt seiner Verärgerung über Putin Ausdruck verliehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Sache auf sich beruhen lässt.

Frage

Wie lange würde sich die Ukraine ohne amerikanische Hilfe behaupten können?

Johann Wadephul

Das müsste und würde auch in Europa noch einmal neue Kräfte freisetzen. Wir sollten auch die russische Kriegsmaschinerie nicht überschätzen. Immerhin versucht sie seit drei Jahren, ein Ziel zu erreichen, welches Putin innerhalb nur wenige Tage erreichen wollte. Seine ursprüngliche Absicht war ja, erst Kiew und dann die komplette Ukraine einzunehmen. Trotz immenser Verluste kommt Putins Armee damit nicht voran.

Frage

Wenn Sie sich Sabotageakte und Cyberangriffe anschauen – befindet sich Deutschland bereits in einem hybriden Krieg mit Russland?

Johann Wadephul

Ich würde den Begriff Krieg vermeiden, aber wir befinden uns nicht mehr in einer klaren Friedenssituation. Wir müssen neue Methoden finden, damit umzugehen. Das gilt auch dafür, dass wir die rechtlichen Grundlagen genau anschauen müssen.

Frage

Inwiefern?

Johann Wadephul

Wie gehen wir zum Beispiel damit um, wenn Drohnen über militärische Anlagen fliegen oder wenn außerhalb der deutschen Hoheitszone kritische Infrastruktur wie Datenkabel oder Energieleitungen zerstört werden? Das ist gar nicht klar. Dürfen wir dagegen vorgehen, dürfen wir das abwehren? Das muss geregelt werden. Denn wir müssen uns auch insoweit vollständig verteidigen können. Es gibt ganz neue Aufgabenstellungen. Das ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wir einen Nationalen Sicherheitsrat einrichten wollen.

Frage

Ihre Vorgängerin Annalena Baerbock hat aus den Reihen der Union viel Kritik einstecken müssen, wenn sie die Art der israelischen Kriegsführung in Gaza anprangerte. Müssen Sie ihr im Nachhinein recht geben?

Johann Wadephul

Man muss alles aus seiner Zeit heraus beurteilen. Ich gehöre zu denen, die Annalena Baerbock kritisiert haben und glaube immer noch, dass meine damalige Kritik berechtigt gewesen ist. Heute stelle ich fest, dass manche Verhaltensweise der israelischen Regierung der Kritik bedarf und die wird auch formuliert. Der Bundeskanzler und auch ich haben zu einigen Dingen klar unsere Meinung gesagt.

Frage

Aber so neu ist die dramatische Lage in Gaza nicht. Was hat sich verändert?

Johann Wadephul

Über Wochen ist der Zugang für humanitäre Hilfe verhindert worden. Bei meinem Antrittsbesuch in Israel habe ich für die Bundesregierung insgesamt gefordert, dass die israelische Regierung hier Abhilfe schafft. Ich war sogar bereit, das neue geplante Verteilsystem als einen pragmatischen Ausweg aus der Krise zu akzeptieren. Ich muss aber jetzt nach etwa drei Wochen feststellen, dass das nicht funktioniert, dass die ankommenden Lieferungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Dabei geht es um die Gewährung grundlegender Menschenrechte. Die Kranken und die Schwachen und die Kinder sterben als Erstes. Als Konsequenz haben wir unsere Sprache verändert und werden im nächsten Schritt wahrscheinlich auch das politische Handeln ändern.

Frage

Wie?

Johann Wadephul

Das kann ich noch nicht im Einzelnen sagen. Die israelische Regierung hat jetzt erst einmal die Chance, ihre Politik zu verändern.

Frage

Es geht aber auch um Waffenlieferungen?

Johann Wadephul

Über diese Vorgänge geben wir öffentlich nicht Auskunft, weil sie im Bundessicherheitsrat besprochen werden. Dem Prinzip nach ist klar, dass Israel Waffen aus Deutschland bekommt. Das ist auch immer der Fall gewesen. Israel ist ja auch ganz anderen ernsthaften Gefahren für seine Sicherheit und Existenz ausgesetzt – von Seiten der Huthis, von der Hisbollah, vom Staat Iran. Und dagegen muss Israel sich verteidigen können, auch mit deutschen Waffensystemen. Eine andere Frage ist, ob das, was im Gazastreifen geschieht, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen ist. Das prüfen wir, und an dieser Prüfung ausgerichtet werden wir gegebenenfalls weitere Waffenlieferungen genehmigen.

Frage

Oder eben nicht genehmigen?

Johann Wadephul

Das sagt ja die Formulierung.

Frage

Wird sich Deutschland in der EU und den UN künftiger häufiger der Kritik an Israel anschließen?

Johann Wadephul

Es kommt darauf an, was zur Abstimmung steht. Für mich steht außer Frage, dass wir eine besondere Verantwortung haben, an der Seite Israels zu stehen.

Frage

Die Sicherheit Israels bleibt deutsche Staatsräson?

Johann Wadephul

Ja, wir sind Anwalt der Interessen des Staates Israel, der die einzige Heimstatt der Jüdinnen und Juden ist, wo sie sich in einem eigenen Staat sicher fühlen können. Das heißt auf der anderen Seite natürlich nicht, dass eine Regierung tun und lassen kann, was sie will.

Interview: Daniel Brössler, Claudia Henzler, Sebastian Strauß

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