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Außenministerin Annalena Baerbock anlässlich der Verleihung des Deutsch-Polnischen Preises an Rita Süssmuth für ihr lebenslanges Engagement für die deutsch-polnische Freundschaft gemeinsam mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski in München
Liebe Rita Süssmuth,
Sie haben einmal erzählt, wie Sie Anfang der 1980er-Jahre als Wissenschaftlerin nach Polen gereist sind
und wie beeindruckt Sie von der polnischen Demokratiebewegung waren. Den Blumenteppichen. Den singenden jungen Menschen in Krakau und Warschau.
Doch Sie sahen auch: die Soldaten auf den Straßen, die sowjetischen Panzer. Die Machtdemonstrationen des Regimes.
In diesem Moment erkannten Sie: Die Überzeugungen der Demonstrantinnen und Demonstranten, ihr Drang nach Freiheit – all das ist stärker als Wasserwerfer und Panzer.
Später sagten Sie: „Das ist das große Verdienst von Solidarność: Es dennoch zu versuchen in einer Situation, wo alle Analysten gesagt hätten: Lasst die Finger davon, ihr erreicht es nicht.“
Es weiter zu versuchen. Denjenigen beizustehen, die ihre Grundrechte verteidigen. Und fest an das zu glauben, was unser europäisches Projekt beflügelt: den Gedanken, dass jeder einzelne Mensch sich danach sehnt, in Freiheit und Sicherheit zu leben.
Diese Überzeugung, liebe Rita Süssmuth, hat Ihr politisches Leben geprägt. Und es ist ein Glücksfall für unsere beiden Länder, dass Sie sich persönlich und politisch so unermüdlich für die deutsch-polnische Freundschaft eingesetzt haben.
Als Präsidentin des Deutschen Bundestages luden Sie 1995 den polnischen Außenminister und Holocaust-Überlebenden Władysław Bartoszewski dazu ein, im Bundestag eine Rede zu halten. Anlass war der 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.
In Ihrer Rede sagten Sie: „Mit dem Ende der Nachkriegszeit endet das Erinnern nicht.“
Sie wussten, dass Aussöhnung nicht endet.
Sie muss von Millionen von Menschen auf beiden Seiten der Grenze mit Leben erfüllt werden. An jedem Tag. In jeder Minute.
Diejenigen, die diesen Weg gemeinsam mit Ihnen beschritten haben, liebe Rita Süssmuth, können Hunderte von Geschichten darüber erzählen, wie sehr Sie diesen Grundsatz in Ihren persönlichen Begegnungen verkörperten.
Denn auch das macht Sie aus: Ihre Wärme und Ihre Zugewandtheit.
Insbesondere dann, wenn es schwierig wird.
Manchmal zeigt sich dies nur in Form von kleinen Gesten, ganz unerwartet.
Ich durfte dies zu meiner großen Freude selbst erleben. Rita Süssmuth zu treffen. Ganz unerwartet.
Das war im Oktober 2021, nach einem für mich sehr harten Wahlkampf. Völlig erschöpft begegnete ich Ihnen zufällig auf dem Flur im Bundestag. Und mit einem Mal nahmen Sie mit Ihrer zarten und doch beeindruckenden Erscheinung mich einfach in den Arm und sagten: „Frau Baerbock, großartig! Die Stärke und Energie, die Sie an den Tag gelegt haben!“
Es war nur ein Augenblick, aber einer in der Gegenwart einer Frau, die so oft die „erste ihresgleichen“ war und auf deren Schultern die Frauen meiner Generation stehen, auf deren Schultern auch ich stehe.
Helmut Kohl soll einmal über Sie gesagt haben: „Die Dame geht mir auf die Nerven, sie soll mit ihren Stöckelschuhen auf dem Boden der Realität bleiben.“
Liebe Rita Süssmuth,
ich bin sehr dankbar, dass Sie sich von niemanden sagen ließen, wo Sie zu stehen hätten, geschweige denn, welche Schuhe Sie tragen sollten.
Sondern dass Sie an das glaubten, was von vielen für unmöglich gehalten wurde.
Dafür einzutreten, auch in den schwierigsten Zeiten.
Wie die starke deutsch-polnische Freundschaft, die wir heute würdigen. Das Mögliche in der Realität gestalten.
Wir danken Ihnen, liebe Rita Süssmuth, für Ihr Bekenntnis zu dieser Freundschaft, für Ihr Einfühlungsvermögen und für Ihren Glauben an das, was unser Europa so großartig und stark macht: dass jeder Mensch das Recht hat, in Frieden und Freiheit zu leben.
Es ist eine große Ehre für mich, Ihnen gemeinsam mit meinem Kollegen, dem polnischen Außenminister, diesen besonderen Preis überreichen zu dürfen.