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Ein halbes Jahrhundert Diplomatie: Deutschland und Vietnam (Folge #77) – Transkript

19.03.2025 - Artikel

Intro:

Helga Margarete Barth: Vietnam hat eine wirklich interessant flexible Politik, die nennt sich auch, also wird von der vietnamesischen Regierung als Bambus-Diplomatie bezeichnet.

Helga Margarete Barth: Anfang des vergangenen Jahres war der Bundespräsident hier.

Helga Margarete Barth: Man hat immer den Eindruck, dass dieses Land in Bewegung ist.

Helga Margarete Barth: Wir dürfen nicht vergessen: Wir leben ja nicht in einer leeren Welt, in der es nur die deutsch-vietnamesischen Beziehungen [gibt].

Helga Margarete Barth: Thomas Anders ist in Vietnam ein ganz großer Star. Mir erzählen viele Leute, dass Thomas Anders-Songs und Modern Talking-Hits bei vietnamesischen Hochzeiten quasi immer dazu gehören, dass bei Karaoke die Lieder gesungen werden.

Start:

Julia Lehrter: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Podcast vom Posten. Ich bin Julia Lehrter und freue mich, euch alle wieder begrüßen zu dürfen. Mein heutiger Gast ist über 8300 Kilometer Luftlinie von mir entfernt. Vielleicht habt ihr schon eine Vermutung? Richtig, wir gehen nach Hanoi, Vietnam. Denn unser Thema heute ist eine besondere Partnerschaft, die seit über 50 Jahren diplomatische Beziehungen pflegt: die zwischen Deutschland und Vietnam. Ich freue mich sehr, die deutsche Botschafterin in Vietnam Frau Helga Margarete Barth bei uns begrüßen zu dürfen. Sie wird uns spannende Einblicke in diese außergewöhnliche Beziehung geben. Liebe Frau Barth, schön, dass Sie heute bei uns sind.

Helga Margarete Barth: Ja, vielen Dank. Hallo nach Berlin und überallhin sonst.

Julia Lehrter: Sie sind seit dem 12. August 2024 Botschafterin in Vietnam, also noch gar nicht so lange. Wie haben Sie sich eingelebt?

Helga Margarete Barth: Sehr gut. Tolles Team an der Botschaft. Eine vietnamesische Regierung, die sehr freundlich und aufgeschlossen mit uns umgeht. Man muss sich an das Klima hier auch wirklich erstmal gewöhnen. Der Sommer war unglaublich heiß, also durchaus auch Temperaturen weit über 40 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit. Das hat ein bisschen gedauert, bis mein Mann und ich uns daran gewöhnt haben. Aber wir sind beide sehr gerne hier und ich finde die Arbeit wirklich sehr spannend.

Julia Lehrter: Sie haben ja unter anderem Sinologie studiert und waren bereits auf Posten in Japan und China. Also Asien ist so ein bisschen Ihr Spezialgebiet kann man sagen. Was macht die Aufgabe in Vietnam jetzt für Sie so besonders?

Helga Margarete Barth: Für mich ganz besonders ist ein anderes großes Land in Asien, eine ganz andere Sprache als Japanisch und Chinesisch. Also ich bin mit der Geschichte der Region ganz gut vertraut. Das ist hier aber eben einfach auch nochmal eine ganz andere Herausforderung. Und Vietnam ist ein Land, mit dem wir in Deutschland ganz besonders verbunden sind - einfach durch die vielen Menschen, die vielen Vietnamesen, die in Deutschland in den 80er, 90er Jahren gearbeitet haben, von denen viele Deutschland eben auch zu ihrer neuen Heimat gemacht haben. Über 200.000 Menschen vietnamesischer Abstammung leben in Deutschland. Wir treffen auch viele junge Menschen hier, die in Deutschland aufgewachsen sind und jetzt hier bei Unternehmen arbeiten, hier Unternehmen aufgebaut haben und oft genug einfach aus ihrer kulturellen Kenntnis von Deutschland, ihren hervorragenden Sprachkenntnissen und ihrer Kenntnis von Vietnam eben sich daraus eine Existenz aufgebaut haben.

Julia Lehrter: Und es ist ja auch ein ganz besonderer Zeitpunkt, zu dem Sie jetzt Botschafterin geworden sind, nämlich in diesem Jahr feiern Deutschland und Vietnam 50 Jahre diplomatische Beziehungen. Wie hat sich denn die Beziehung zwischen den Ländern seit der Aufnahme der Beziehungen entwickelt?

Helga Margarete Barth: Ich glaube, da gibt es einen ganz witzigen Artikel im Internet, den ich mal gelesen habe. Am Anfang war hier mal ein Büro in einem Hotel, das war die Botschaft. Das hat dann sehr schnell dann doch nicht mehr ausgereicht und Vietnam hat sich einfach der Welt, Europa und Deutschland immer mehr geöffnet. Die Beziehungen sind sehr viel vielfältiger, lebendiger geworden. Es ist viel mehr Aufgeschlossenheit in Vietnam, natürlich auch in Deutschland. Vietnam hat eine unglaubliche wirtschaftliche Erfolgsgeschichte erlebt. Das war, als wir die Beziehungen aufgenommen haben, vor 50 Jahren noch nicht ganz so, aber seit der wirtschaftlichen und politischen Öffnung Vietnams im Jahr 1986, Doi Moi, da wurde die politische und wirtschaftliche Öffnung Vietnams eingeleitet und seitdem ist wirklich sehr viel passiert.

Julia Lehrter: Und haben Sie konkrete Meilensteine, die Sie nennen können?

Helga Margarete Barth: Ein Meilenstein, der mir persönlich auch sehr viel bedeutet, war tatsächlich das Jahr 2011, als wir unsere strategische Partnerschaft eingegangen sind. Ich habe damals im Kanzleramt gearbeitet und durfte den Besuch von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel auch mit vorbereiten und war damals auch mit hier in Hanoi. Da ist sehr viel vereinbart worden, was man in der Zukunft gemeinsam neu aufbauen möchte. Also eine der Ideen war eben auch zum Beispiel eine deutsch-vietnamesische Universität in Vietnam zu begründen. Und wir blicken da wirklich auf eine Erfolgsgeschichte zurück. Meilensteine in den letzten Jahren waren natürlich der Besuch des Bundeskanzlers 2023 und Anfang des vergangenen Jahres war der Bundespräsident hier. Im Januar war er in Hanoi und in Ho-Chi-Minh-Stadt.

Julia Lehrter: Und die Beziehungen erlebten ja auch mal schwierige Phasen. Also wenn ich zum Beispiel an 2017 denke. Können Sie da nochmal kurz zusammenfassen, was da passiert ist und wie man sich davon erholt hat?

Helga Margarete Barth: 2017 ist ein vietnamesischer Staatsbürger aus Berlin entführt worden. Das ist eine Aktion gewesen, die seitens der vietnamesischen Regierung damals geplant wurde, geplant und durchgeführt wurde. Und das war dann tatsächlich eine sehr schwierige Phase, weil die Bundesregierung natürlich unterstreichen musste, dass ein solches Verhalten in keiner Weise akzeptabel ist. Und da gab es dann eine ganze Weile wirklich keine Delegationen aus Deutschland, die nach Vietnam gereist sind und auch keine Delegation aus Vietnam, die nach Deutschland gereist sind. Wir haben uns davon inzwischen ganz gut erholt. Aber wir vermitteln der vietnamesischen Regierung natürlich, dass ein solcher Vorfall sich auf keinen Fall wiederholen darf.

Julia Lehrter: Und wenn Sie jetzt an Ihre eigene Erfahrung in Vietnam denken, welche Charakteristika zeichnen Vietnam besonders aus? Welche prägenden Eindrücke haben Sie erlebt?

Helga Margarete Barth: Was für mich ein ganz prägender Eindruck ist. Man hat immer den Eindruck, dass dieses Land in Bewegung ist. Also die Leute sind unglaublich aktiv. Es gibt auch wirklich einen ganz ausgeprägten Unternehmergeist, würde ich sagen. Also es gibt sehr viele Leute, die kleine oder mittlere Unternehmen aufbauen. Jeder möchte hier etwas kaufen und verkaufen. Finde ich wirklich ganz bemerkenswert. Das ist nicht in allen Ländern so. Und für uns wirklich bemerkenswert ist eben diese enge Bindung an Deutschland. Ich treffe hier überall immer wieder Leute, die einige Zeit in ihrem Leben in Deutschland verbracht haben, oft in der DDR. [Die] damals große wirtschaftliche Not in Vietnam noch in den 80er Jahren traf sich mit einem großen Arbeitskräftebedarf in der damaligen DDR. Da wurden junge Leute ziemlich gut sprachlich ausgebildet in Vietnam selbst und dann am Herder-Institut in Leipzig. Viele haben eine berufliche Bildung gemacht, manche haben als Vertragsarbeiter gearbeitet. Es gibt auch viele Leute, die gerade naturwissenschaftliche und technische Fächer an den Hochschulen studiert haben und die begegnen uns nach wie vor. Also alle erzählen immer sehr positiv von ihrer Zeit damals und überraschen uns dann mit nach so vielen Jahren oft wirklich immer noch ganz hervorragenden Sprachkenntnissen.

Julia Lehrter: Wow, also das kann man sich ja richtig gut vorstellen, dass da wahrscheinlich dann auch Deutschland so schon in der Kultur auch prägend ist, dass da wahrscheinlich viele dann zurückgegangen sind nach Vietnam, um dort zu arbeiten, sich was aufzubauen. Sie haben gerade gesagt, die Community ist ganz aktiv in Vietnam. Man hat dort große Unternehmungslust und Abenteuerlust und das bezieht sich ja auch auf die Feiertage. Also die Feiertage werden ja ganz groß gefeiert und am 29. Januar fand das vietnamesische Neujahrsfest statt, das sogenannte Tet-Fest. Wie haben Sie das erlebt?

Helga Margarete Barth: Ich war in der Zeit tatsächlich in Deutschland, also dieses Jahr habe ich es nicht in Vietnam erlebt, aber wir haben eigentlich seit Mitte Dezember erlebt, dass Vietnamesinnen und Vietnamesen viele Feste feiern. Also Tet ganz bestimmt besonders intensiv. Das ist wie das chinesische Frühlingsfest einfach auch ein Fest für die Familie, wo alle zusammenkommen, auch oft von weit her, wo man die Ahnengräber pflegt, auch viele, viele vietnamesisch-stämmige Deutsche nach Vietnam reisen. Also Flugtickets werden dann auch immer sehr teuer in dieser Zeit. Aber Weihnachten wird hier auch gefeiert. Also man trifft sich in den Straßen, ist sehr fröhlich. Dann wurde Silvester auch gefeiert. Und wir haben einfach den Eindruck, das ist so eine richtig festliche Saison jetzt gewesen. Wir sind allerdings auch eigentlich ganz froh, dass wir jetzt wieder zurück zur Arbeit sind, wieder mehr Termine in Ministerien bekommen können. Also alles jetzt wieder etwas back to normal.

Julia Lehrter: Unseren Zuhörern haben wir mal eine kleine Aufnahme auch mitgebracht vom Tet-Fest, damit ihr mal so ein bisschen reinhören könnt, wie sich das in Vietnam so anhört, wenn Tet-Fest ist.

Helga Margarete Barth: Genau, und die deutsche Botschafterin mit dem vietnamesischen Botschafter ein Duett singen.

Musik mit Gesang vom Tet-Fest

Julia Lehrter: Dann lassen Sie uns noch ein bisschen über Vietnam und Europa sprechen. Welche Rolle nimmt Europa, insbesondere die Europäische Union denn aus vietnamesischer Sicht ein?

Helga Margarete Barth: Aus vietnamesischer Sicht ist Europa ganz besonders wichtig als ein - natürlich - Absatzmarkt für Güter, die in Vietnam produziert werden. Es gibt seit dem Sommer 2020 ein Freihandelsabkommen. Zwischen Vietnam und der Europäischen Union. Die Handelsbilanz hat sich seitdem auch durchaus sehr zum Vorteil Vietnams entwickelt. Aber Europa wird auch als ein außenpolitischer und normensetzender Player wahrgenommen. Wir sind also etwas privilegiert als die stärkste Volkswirtschaft und eben als das Land mit der, ich glaube, wirklich größten vietnamesisch-stämmigen Community in Europa.

Julia Lehrter: Genau, darüber hatten wir jetzt am Anfang auch schon kurz einmal gesprochen. Also diese Exil-Community in Deutschland ist besonders groß und wahrscheinlich auch wichtig für die bilateralen Beziehungen. Es gibt sehr viele Vietnamesen, die in Deutschland leben und dortbleiben und auch viele Vietnamesen, die in Deutschland gelebt haben und zurückkommen. Wie wirkt sich diese Exil-Community auf die bilateralen Beziehungen aus?

Helga Margarete Barth: Ich glaube, die wirkt sich wirklich sehr positiv aus. An einigen Orten ist es eben so, dass es eine gewisse Konzentration an vietnamesischer Community gibt. Beispiel ist Berlin, Leipzig, Hamburg, Dresden. Da gibt es eben Zusammenschlüsse von vietnamesisch-stämmigen, also beispielsweise auch Leuten aus bestimmten Branchen. Was mich tatsächlich auch sehr persönlich berührt hat, als ich vergangenes Jahr beim Tet-Fest auf Einladung des vietnamesischen Botschafters war, stellte sich dann heraus, dass mehrere dieser Verbände für die Flutopfer an der Ahr Geld gesammelt hatten und einen sehr ordentlichen fünfstelligen Betrag zur Verfügung gestellt hatten. Also einfach für Wiederherrichtung von Jugendeinrichtungen Das fand ich ganz beeindruckend. Aber wir sehen jetzt eben auch die ersten vietnamesisch-stämmigen jungen Politiker, die also einfach auch einen Beitrag in Länderparlamenten, in Stadträten leisten. Das finde ich auch sehr bemerkenswert.

Julia Lehrter: Genau, also haben Sie noch mehr Beispiele für den konkreten wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einfluss von dieser Exil-Community?

Helga Margarete Barth: Ich denke, die Exil-Community erwartet durchaus von der Bundesregierung, von Stadtregierungen, von Landesregierungen, dass die Beziehungen mit Vietnam gepflegt werden. Also da gibt es dann schon öfter auch Nachfragen natürlich. Was wir auch sehen, ist ein sehr positiver Einfluss auf unsere Bemühungen, Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen. Da spielt die Community vor Ort oft eine große Rolle, weil die natürlich auch zur Willkommenskultur beiträgt, also wenn zum Beispiel die Leipziger Verkehrsbetriebe junge Leute in technischen Berufen ausbilden, um sie dann als Busfahrer einzusetzen - das ist so eines der sehr erfolgreichen Programme - dann gibt es auch immer Community-Events. Also die Leute erhalten dann Paten beispielsweise. Für das, worum wir uns bemühen, nämlich Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen, spielt das eine ganz große Rolle, damit die … das sind ja oft sehr junge Leute … damit die sich Willkommen fühlen von Anfang an und einfach auch Ratschläge, Tipps von Älteren bekommen, die vielleicht auch so eine Einwanderungserfahrung gemacht haben.

Julia Lehrter: Und Vietnam hat natürlich auch Beziehungen zu anderen Ländern. Wie schätzen Sie denn die Beziehung Vietnams zu den USA und zu China ein?

Helga Margarete Barth: Vietnam hat eine wirklich interessant flexible Politik, die nennt sich auch, also wird von der vietnamesischen Regierung als Bambus-Diplomatie bezeichnet. Also alle kennen den Bambus. Der ist biegsam. Er steht an einer Stelle, aber er kann sich in verschiedene Richtungen bewegen und man ist hier in Hanoi, die vietnamesische Regierung, ist sehr stolz darauf, gute Beziehungen zu China, zu den USA, zu Korea, zu Japan, zur Europäischen Union, zu Australien zu pflegen. Also jetzt in diesen Tagen ist hier eine große Konferenz zu ASEAN und man ist ganz stolz darauf, dass sich so viele wichtige Politiker hier in Hanoi treffen.

Julia Lehrter: An dieser Stelle würde ich gerne fragen, wie das Verhältnis zwischen China und Vietnam historisch gewachsen ist? Welche Konflikte gab es in der Vergangenheit?

Helga Margarete Barth: Ja, also Vietnam hat natürlich über lange Zeit sehr eigene Erfahrungen mit China gemacht als ein Land, das unmittelbar angrenzt an das, was heute China ist. Vietnam war eben im kulturellen Einflussbereich Chinas und war zeitweise einfach auch ein Tributstaat. Es hat eine ganze Menge sehr konfliktreiche Auseinandersetzungen gegeben, zuletzt Ende der 70er Jahre, 79, aber auch über die 80er Jahre. Also China, diesen großen Nachbarn im Norden, diesen sehr großen Nachbarn im Norden sehr gut zu kennen und mit dem umzugehen, immer wieder klarzumachen, was akzeptabel ist und was nicht geht, ist für die vietnamesische Regierung sehr wichtig. Und natürlich gibt es auch gerade im südchinesischen Meer gegenläufige territoriale Ansprüche um einige der Archipele. Also da gibt es eben… ich weiß nicht, ob man von Zusammenarbeit sprechen kann…Es gibt eigentlich sehr viel Konflikt auch in diesem Bereich.

Julia Lehrter: Deutschland ist Vietnams größter EU-Handelspartner und Vietnam ist Deutschlands größter Handelspartner innerhalb von ASEAN. Das würde ich gerne noch kurz erklären. Das ist die Abkürzung für Association of South East Asian Nations. Das ist eine internationale Organisation südostasiatischer Staaten. Der Hauptsitz liegt in Jakarta, Indonesien. Welche deutschen Branchen sind denn besonders aktiv in Vietnam?

Helga Margarete Barth: Das sind eine ganze Reihe von Branchen. Also es gibt eine relativ breite Streuung. Medizintechnik spielt eine große Rolle, Verarbeitungsgewerbe, Maschinenbau, Textil. Also, ich würde nicht sagen, dass da eine Branche tatsächlich dominiert, aber Vietnam ist ein ganz bedeutender Produktionsstandort für immerhin also ich würde schätzen, einen Großteil der 350 deutschen Unternehmen, die sich in Vietnam angesiedelt haben.

Julia Lehrter: 350. Das ist schon eine Menge.

Helga Margarete Barth: Ja, das ist eine ganze Menge.

Julia Lehrter: Und welche Chancen und Herausforderungen sehen deutsche Unternehmen in Vietnam?

Helga Margarete Barth: Ich fange mal mit den Herausforderungen an. Eine große Herausforderung sind oft besonders langwierige Genehmigungsprozesse, also für Investitionen Ausweitung von Investitionen. Für manche Branchen ist das eine sehr große Herausforderung. Korruption spielt auch eine Rolle, aber die Chancen sind sehr leistungsorientierte Mitarbeiter, die also zumindest, wenn es jetzt um Produktion geht, sind die Lohnkosten im internationalen Vergleich sehr günstig für Investoren. Im mittleren und höheren Management ist es schwieriger. Also da gehört zu den Herausforderungen auch, dass die Unternehmen sich oft gute Leute, also gerade die Finanzleute in den Unternehmen, man wirbt sich dann auch sehr gerne gegenseitig ab. Aber das ist, glaube ich, in anderen Ländern in der Region ganz ähnlich.

Julia Lehrter: Und die Umsetzung internationaler Standards, zum Beispiel beim Umweltschutz oder bei Arbeitsrechten ist in Vietnam ja nicht immer ganz ausreichend. Was wird da unternommen?

Helga Margarete Barth: Also mein Eindruck ist jetzt durch eine ganze Reihe von Unternehmensbesuchen, dass deutsche Unternehmen die örtlichen Vorschriften immer übererfüllen, gerade im Umweltbereich, aber natürlich auch bei Arbeitsschutz und Arbeitnehmerrechten, also dass man da sehr genau darauf achtet, wie man mit den eigenen Mitarbeitern umgeht, welche Chancen man ihnen bietet, auch Weiterbildungsmöglichkeiten…

Julia Lehrter: Wie am Anfang erwähnt feiern Deutschland und Vietnam 50 Jahre diplomatische Beziehungen gemeinsam. Dazu sind ganz viele Veranstaltungen geplant, vor allem seitens der Botschaft. Wollen Sie ein bisschen was über die Initiativen erzählen. Was ist geplant fürs Fest?

Helga Margarete Barth: Das mache ich sehr gerne. Es geht hier auch nicht nur um die Botschaft und das Generalkonsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt. Sondern die AHK, also die Außenhandelskammer, ist ein Delegierter der deutschen Wirtschaft und die beiden Goethe-Institute sind ganz wichtige Partner für uns. Wir haben sehr viel Unterstützung seitens der deutschen Wirtschaft. Also wir haben einen Sponsorenaufruf gemacht und um Unterstützung gebeten, um einfach auch eine andere Reichweite haben zu können. Wir planen sehr vielfältige Aktivitäten. Wir haben damit natürlich auch schon angefangen. Der furiose Auftakt unseres Programms war ein Konzert von Katharine Mehrling, einer Sängerin, die hier in Hanoi ein wirklich furioses Konzert in der Neuen Oper gegeben hat mit Liedern von Weil, vielen Texten von Bertolt Brecht. Ausverkauftes Haus. Sehr zufriedene Gäste, sehr positive Rückmeldungen aus der Ministerialbürokratie. Das hat uns natürlich wirklich sehr erfreut. Wir planen auch noch andere Dinge wie den „Career Truck“ oder Karriere-Truck. Das ist ein ausgebauter Container, der von einer Zugmaschine durch das ganze Land gefahren wird und in Provinzhauptstädten dann begrüßt werden soll. Dann oft auf dem Gelände von Universitäten wird dann so eine Deutschlandveranstaltung stattfinden und Themen sind zum Beispiel faire Migration. Also faire Migration heißt eben nicht durch unseriöse Vermittler, die jungen Leuten für die Vermittlung eines Ausbildungsplatzes in Deutschland dann ungeheure Summen abverlangen, sondern einfach zu vermitteln, wie Migration eben auch fair ablaufen kann. Also, dass unsere Visa feste Gebühren haben und dass man sie bekommen kann, auch ohne einen Vermittler, einfach durch eine Antragstellung. [Themen sind auch] Informationen über Deutschland, deutsche Sprache. Das ist der Plan. Da haben wir sehr viel Unterstützung von der Bundesregierung, also Auswärtiges Amt, genauso wie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Und da arbeiten wir zum Beispiel mit der GIZ zusammen und auch mit dem Goethe-Institut zusammen. Also Sie sehen, das ist auch für mich etwas, was diesen Posten so besonders reizvoll macht. Wir haben hier eben so viele deutsche Akteure. Die politischen Stiftungen sind weit überwiegend auch hier. Das Goethe-Institut ist da, der DAAD. Das macht dann auch wirklich viel Spaß miteinander an der Vermittlung daran, wofür Deutschland steht und was Deutschland eigentlich ist, an diesem Thema zu arbeiten.

Julia Lehrter: Ja, also ich finde man merkt, dass da viel Momentum ist und einfach eine große Handreichung. Also man arbeitet wirklich Hand in Hand miteinander und dieser Career Truck, der ist eben auch Teil von diesem Jubiläum. Also man kann sich das vorstellen, der Truck fährt durch die Gegend macht an wichtigen Standorten in ganz Vietnam Halt und die Menschen können kommen und können sich über Karriere in Deutschland informieren. Das ist natürlich für nicht nur Universitäten, sondern auch für Leute, die eben eine Ausbildung machen möchten. Wissen Sie welche Ausbildungsplätze oder Studiengänge besonders beliebt sind bei Vietnamesen?

Helga Margarete Barth: Bei den Studiengängen sind es schon in erster Linie technische und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge, natürlich auch Wirtschaftswissenschaften, Finanzwirtschaft. Und bei den Auszubildenden da hatten wir übrigens im letzten Jahr ein Plus von 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Julia Lehrter: Wow. Ja?

Helga Margarete Barth: 5.177 Visa für Auszubildende, die von der Botschaft in Hanoi vergeben worden sind. 1.150 vom Generalkonsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt, also fast 6.000 nicht ganz Auszubildende. Doch über 6000 Visa für junge Vietnamesinnen und Vietnamesen, von denen viele in Gastronomie, Pflege, aber auch in technische Berufe gehen. Und der Bedarf ist riesig. Das wissen wir alle.

Julia Lehrter: Ja, das wissen wir alle. Also ich glaube, Fachkräftemangel ist hier das große, große Stichwort. Was dabei auch manchmal aufkommt, ist die Frage: Es gibt ganz oft auch noch immer Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Zertifikaten. Das hemmt den Austausch von Fachkräften einfach. Wie wird damit umgegangen?

Helga Margarete Barth: Also hier in der Botschaft gibt es auch Kollegen, die sich mit den Zertifikaten dann beschäftigen und ich glaube auch wirklich alles, was möglich ist, innerhalb der Vorschriften möglich machen. Und es gibt in Deutschland natürlich auch inzwischen eine größere Offenheit bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Ich würde auch gerne noch auf ein Projekt zu sprechen kommen, das mir persönlich auch sehr am Herzen liegt. Das ist unser Biografien-Projekt. 20 Deutsche mit vietnamesischem Hintergrund werden vorgestellt mit Porträtaufnahmen und ihrem Lebenslauf. Das ist eine Ausstellung, die wird im Internet zu besichtigen sein und auch an der Mauer unserer Botschaft, die wir natürlich als Ausstellungsfläche im öffentlichen Raum auch nutzen.

Und ich bin selbst auch wirklich beeindruckt davon, was viele dieser Leute aus ihrem Leben gemacht haben. Manche eben auch mit einer Biografie als Flüchtlinge, als Kinder von „Boat People“, die mit einigen Stationen in Flüchtlingslagern in Deutschland dann als Kinder ankamen, und was sie sich für ein Leben aufgebaut haben. Also da sind Schriftsteller dabei, beispielsweise, auch Leute, die Restaurants betreiben, Leute in der Wirtschaft, Künstler. Ganz beeindruckend.

Julia Lehrter: Das klingt wirklich beeindruckend. Also es ist eine Online-Ausstellung mit Porträts und den Biografien dann dazu, wie die Menschen jetzt an den Punkt gekommen sind, wo sie heute sind. Und das heißt halt auch, dass unsere Zuhörer sich das alle ansehen können, diese Online-Ausstellung. Deswegen schaut gerne mal rein. Man findet wahrscheinlich mehr Informationen auf der Seite der Deutschen Botschaft in Vietnam?

Helga Margarete Barth: Genau. Und man findet den Link zu unserem Veranstaltungskalender, unserem gemeinsamen Veranstaltungskalender, auf der Website des Goethe-Instituts.

Julia Lehrter: Sehr gut, vielen Dank. Es gibt noch eine weitere Veranstaltung, ein weiteres Angebot. Das liegt Ihnen wahrscheinlich auch sehr am Herzen. Es ist ein geplanter Schreibwettbewerb für den 8. März und der richtet sich an junge Frauen. Die Teilnehmerinnen sollen Essays darüber einreichen, was sie an den diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam verändern würden. Also sie sollen sich vorstellen, ich bin Botschafterin für einen Tag, was würde ich verbessern? Welche Verbesserungsvorschläge könnten da eingereicht werden?

Helga Margarete Barth: Also der Schreibtwettbewerb steht natürlich im Zusammenhang mit dem Internationalen Frauentag. Und wir sind auch nicht die erste Botschaft oder erste deutsche Auslandsvertretung, die so ein Projekt hat. Ich bin sehr gespannt, was für Essays eingereicht werden. Wir haben schon eine ganze Reihe von Einsendungen. Also mal sehen. Geplant ist, dass ich die Botschafterin für einen Tag mit meinem Dienstwagen von zu Hause abhole und dass sie natürlich hier eine Besprechung leiten wird, die Botschaft kennenlernt und dann wird es ein Mittagessen geben und wir werden sie natürlich auch in den sozialen Medien präsentieren als unsere Botschafterin für einen Tag.

Julia Lehrter: Ich finde, das ist eine ganz, ganz wunderbare Idee und ich muss sagen, es ist ein ganz tolles weibliches Vorbild für zukünftige weibliche Führungskräfte.

Helga Margarete Barth: Bei dem Schreibwettbewerb ist mir auch noch wichtig, dass wir eben auch an die nächsten 50 Jahre denken. Also die letzten 50 Jahre waren eine spannende Geschichte, aber die liegen ja nun zurück. Diese engen Verbindungen zwischen Deutschland und Vietnam sind begründet worden durch Menschen. Und ich glaube einfach, dass Menschen, auch künftig junge Leute, eine Rolle dabei spielen. Dafür ist es auch wichtig, dass wir Deutschland auch für junge Leute bekannter machen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir leben ja nicht in einer leeren Welt, in der es nur die deutsch-vietnamesischen Beziehungen [gibt]. K-Pop und Anime spielen ja für junge Leute eine ganz große Rolle. Also die Frage ist... Was hat Deutschland, was für junge Leute auch attraktiv ist? Rap-Musik, Techno. Also das sind alles Dinge, die wir uns da anschauen. Und wirklich junge Leute für Deutschland zu interessieren und zu begeistern ist eine ganz wichtige Aufgabe für uns.

Julia Lehrter: Ja, und ich glaube, das ist wirklich ein guter Ansatzpunkt. Also K-Pop ist was, das ist eine Bubble noch in Deutschland, aber es ist wirklich eine riesengroße Musikindustrie, die aus Asien rübergekommen ist und ganz, ganz viele Fans deutschlandweit, europaweit auch begeistert. Und da kann man natürlich sagen, ja, also gerade hier in Berlin kann ich sagen, der Techno ist natürlich etwas, was man gut exportieren kann, weil: Er ist sehr gut. Aber das ist eben was, wo man sagen kann, ja, darüber kann man ein modernes Deutschlandbild vermitteln und junge Leute begeistern. Das ist eine kulturelle Zusammenarbeit. Und im Rahmen der Feierlichkeiten wird es vor Ort Feierlichkeiten geben. Was ist geplant für die Botschaft?

Helga Margarete Barth: Also ein Projekt, was wir im Oktober haben werden, wir feiern natürlich unseren Nationalfeiertag. Da suchen wir gerade noch nach einem interessanten Ort. Aber wir werden auch ein Deutschlandfest hier im öffentlichen Raum haben am Huan-Kiem-See. Wer Hanoi schon mal besucht hat, kennt ihn. Das ist dieser schöne See in der Altstadt. Da haben wir jetzt die Genehmigung der Stadtverwaltung bekommen, dass wir dort ein Fest feiern können. Da wollen wir unsere Entwicklungszusammenarbeit vorstellen. Das ist manchen nicht so richtig bekannt. Vietnam ist inzwischen ein ganz großer Kaffee-Exporteur und die DDR-Entwicklungszusammenarbeit hat damit angefangen und die GTZ, später GIZ, hat damit fortgefahren Vietnam dabei zu unterstützen, eben guten Kaffee anzubauen. Wichtige Themen heute sind Energie, Klima und berufliche Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit immerhin mit einem Portfolio von 1,1 Milliarden Euro. Das ist eine ganze Menge. Und auch da, genauso wie beim Career Truck, wir versuchen das natürlich auch zu nutzen, um Deutschland insgesamt vorzustellen. Auch die Möglichkeiten Deutsch zu lernen in Vietnam, all das.

Julia Lehrter: Und ich habe zudem noch gehört, also jemand hat mir verraten, dass jemand ganz Besonderes auftreten wird, und da haben wir wahrscheinlich auch wieder - Deutschland und Vietnam - eine Gemeinsamkeit. Es ist Thomas Anders. Er ist ein Star in Vietnam, richtig?

Helga Margarete Barth: Er ist ein Star in Vietnam. Das gehört für mich wirklich zu den ganz großen Überraschungen. Ich weiß natürlich, wer Thomas Anders ist, die eine Hälfte von Modern Talking damals. Aber Thomas Anders ist in Vietnam ein ganz großer Star. Mir erzählen viele Leute, dass Thomas-Anders-Songs und Modern-Talking-Hits bei vietnamesischen Hochzeiten quasi immer dazu gehören, dass bei Karaoke die Lieder gesungen werden und uns ist es gelungen, mit dem Management in Kontakt zu treten und es dafür zu gewinnen, dass es ein Konzert von Thomas Anders in Hanoi am 25. Oktober geben wird. Und wir werden jetzt, also das hat sich hier schon etwas darüber gesprochen, wir werden jetzt schon immer angesprochen: Wann kommen denn die Karten in den Verkauf? Und würde uns die Botschaft vielleicht einladen? Also das ist, glaube ich, hier wirklich eine ganz große Sache.

Julia Lehrter: Ja, war für mich auch eine große Überraschung, als ich es gelesen habe. Damit rechnet man dann erstmal nicht.

Helga Margarete Barth: Ja, ging mir ganz genauso.

Julia Lehrter: Und wenn Sie jetzt in die Zukunft schauen, welche Prioritäten wird es für Sie zukünftig in der Zusammenarbeit geben?

Helga Margarete Barth: Ich habe über die jungen Leute schon gesprochen. Das ist wirklich für uns alle eine große Aufgabe, füreinander interessant zu bleiben. Ich freue mich so sehr über die vielen jungen Deutschen, die in Vietnam reisen auf eigene Faust und mit dem Rucksack. Es gibt natürlich auch deutsche Reisegruppen, die Vietnam kennenlernen, aber die jungen Leute, die sich da selbst auf den Weg machen und das Land von Nord nach Süd oder Süd nach Nord bereisen und oft einfach Homestays machen und mit den Leuten im Gespräch sind. Das ist eine ganz tolle Sache. Als Botschafterin liegen mir natürlich auch die politischen Beziehungen sehr am Herzen. Es ist wichtig, dass unsere Politiker und Politikerinnen miteinander im Gespräch sind, im Gespräch bleiben. Es gibt so viele Themen, gerade in diesen Zeiten, über die man sich austauschen kann, Initiativen, die man gemeinsam planen kann. Und nicht immer, aber durchaus öfter sind unsere Interessen auch ganz ähnlich.

Julia Lehrter: Zusammenfassend lässt sich sagen, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Vietnam blickt auf eine beeindruckende Geschichte zurück mit Höhen und Tiefen. Gemeinsam blickt man weiterhin in eine vielversprechende Zukunft. Vielen Dank, Frau Botschafterin, dass Sie Ihre Perspektiven und Erfahrungen heute mit uns geteilt haben.

Helga Margarete Barth: Vielen Dank. Und vielen Dank an Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen.

Julia Lehrter: Informiert euch über die Veranstaltungen zum Jubiläum, zum Beispiel auf den Social-Media-Seiten der Deutschen Botschaft in Hanoi oder auf www.50vietduc.de. Das ist der gemeinsame Veranstaltungskalender mit dem Goethe-Institut und es gibt viel zu entdecken.

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